Moderner Zen-Buddhismus und Stoizismus betonen immer wieder, wie wichtig es ist zu unterscheiden, zwischen äußeren Umständen, die wir nicht beinflussen können, und unserer inneren Haltung zu diesen Umständen, auf die wir tatsächlich Einfluss haben. Dies ist natürlich nur der erste Schritt. Den Unterschied zu erkennen reicht alleine nicht aus. Es braucht Übung, innere Beweglichkeit, Flexibilität in der Perspektive und die Fähigkeit zur Dankbarkeit.
Ein Beinbruch zur Übung
Einen komplexen Bruch im Unterschenkel habe ich mir vor wenigen Wochen zugezogen. Beim Longboard-Skateboarding, bei einem relativ überschaubarem Bremsmanöver geriet mein Fuss unter das Brett und die Hinterachse und mein Eigengewicht zusammen mit dem Schwung verdrehte und bog meinen Unterschenkel bis zum vollständigen Bruch. Direkt vor meinen Augen. Autsch!
Eigentlich wollte ich den Spätsommer geniessen. Ich hatte eine Tangoveranstaltung in Norddeutschland gebucht, auf die ich mich schon viele Monate gefreut habe und eine eventuelle Spontanreise an einen schönen Schnorchelspot in Kroatien war auch angedacht. Alles aus, alles vorbei. Erstmal zumindest. Einen komplexen Bruch gilt es zu heilen und zwar so, das idealer Weise meine Mobilität nicht eingeschränkt. Alles nicht so prickelnd.
An solchen Ereignissen kann man gut seinen Stoizismus üben. Im Krankenhaus sehe ich Menschen, die mit 50kg Übergewicht ähnliche Verletzungen haben und deutlisch schlechter klarkommen. Ich sehe Krankenpfleger, die einen Knochenjob absolvieren und es schaffen, dabei nicht ihre Laune zu verlieren. Ich sehen alte kranke Menschen, die mit ihrer Gehhilfe nur halb so schnell humpeln können wie ich mit meinem komplexen Bruch mit Außengestell. Ein freundlicher Chirurg legt sich ins Zeug und bastelt nach eingänger Planung 4,5 Stunden an meinem Bein herum und verschraupt die Bruchstücke mit zwei Platten und 19 Schrauben.

Das Essen im Krankenhaus ist frugal, aber ausreichend. Ich liege den ganzen Tag herum aber nehme trotzdem ab. Auch hilfreich.
Leichtsinn? Nein. Dankbarkeit? Ja.
Ein solcher Beinbruch ist gefährlich und nicht trivial, keine Frage. Aber was auch immer uns passiert, wenn wir uns in der Welt umschauen, können wir sehr leicht Menschen sehen, denen es deutlich schlechter geht als uns und die trotzdem ohne große Klagen durchs Leben gehen um für sich und ihre Mitmenschen das beste daraus zu machen.
Mein Bein heilt gerade gut und schnell und ich werde wahrscheinlich bald wieder laufen und tanzen können. Ja, ich habe meine Tangoveranstaltung verpasst. Ja, meine Pläne für dieses Quartal sind über den Haufen geworfen. Aber ich werde das überleben und ich bin all den lieben Menschen dankbar, die mir geholfen haben, mit meinem Beinbruch klarzukommen.
Wir leiden mehr in der Vorstellung als in der Realität. Es ist immer gut, sich diesen Umstand vor Augen zu führen. Perspektive hilft.